27. April 2015 von Peter Achten
VOM WIRTSCHAFTSBOOM ZUR SUCHE NACH EINEM PLATZ IM INTERNATIONALEN MACHTGEFÜGE
Weltrekordverdächtig ist das Wirtschaftswachstum der Mongolei in den vergangenen 15 Jahren. Nicht weniger aber auch die Armut. Die volatilen Rohstoffpreise in der globalisierten Weltwirschaft machen eine Lösung nicht einfacher.
Die Hauptstadt Ulan Baataar boomt. Baukrane beherrschen das Bild. Der „Blau-Himmel-Turm“ überragt die moderne Skyline der Kernstadt. Verkehrsstaus gehören natürlich zur Modernität der Ein-Millionen-Metropole hinzu. Die Neureichen des Landes kaufen, nein shoppen natürlich in Nobel-Boutiquen internationalen Zuschnitts. Doch rund um die Hauptstadt wuchern die Siedlungen mit ihren traditionellen mongolischen Jurten – Ger genannt – sowie Wellblechhütten fast unkontrolliert. Es gibt kein fliessendes Wasser, keine Kanalisation, kaum Elektrizität. Viele Nomaden sind nach Ulan Baataar gekommen mit dem Traum und der Aussicht auf Arbeit, auf etwas Wohlstand und Bildung für die Kinder. Doch daraus wird meistens wenig bis nichts. Denn die der Viehzucht kundigen Nomaden können meist zwar lesen und schreiben, doch andere Fertigkeiten besitzen sie nicht. Einen Job zu ergattern ist deshalb extrem schwierig. Die städtische Arbeitslosigkeit wird zwar offiziell nur mit etwas über 6% ausgewiesen, ist aber nach Einschätzung der Weltbank um einiges höher.
DIE MONGOLEI IN ZAHLEN
Die euphorische Stimmung des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts ist inzwischen einer realistischeren Sichtweise gewichen. Die Hochstimmung von einst gründete im Überfluss an natürlichen Ressourcen: Kohle, Erdöl, Kupfer, Gold, Silber, Zink und Diamanten. Direktinvestitionen flossen ins Land. Zunächst 1990-2007 vor allem aus dem rohstoffhungrigen grossen Nachbarland China – seit 2007 immer mehr auch aus angelsächsischen Ländern, zumal Kanada, Australien, aber auch aus Europa. Das Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) wuchs denn auch ab dem Jahre 2000 bis heute um durchschnittlich 10% im Jahr (mit Ausnahme des weltweiten Finanzkrisenjahres 2009). Nach einem Spitzenwert von 17,5% vor vier Jahren waren es 2014 noch 7,9%. Für heuer wird gar nur noch ein Wachstum von 6% prognostiziert. All diese Zahlen sind aus dem Blickwinkel der Industriestaaten freilich noch immer sehr hoch, nahm die Mongolei ihr marktwirtschaftliches Wachstum nach dem Kollaps der Planwirtschaft 1990 von einem äusserst bescheidenen Niveau aus in Angriff.
Die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründete Republik Mongolei hat sich – nach fast 70 Jahren einer zum Teil rigiden stalinistischen Kommunismusform – zu einer recht stabilen Demokratie gemausert. Auch der Übergang von der sowjetisch geprägten Plan- zur kapitalistischen Marktwirtschaft hat sich, betrachtet man die nackten Wirtschaftszahlen, gelohnt. Das BIP pro Kopf betrug 2014 nominal 4‘000 (und kaufkraftbereinigt gar über 6‘000!) Dollar. Insgesamt hat es sich in den Boomjahren 2002-2012 von 1,4 auf 10,3 Milliarden Dollar erhöht. Allerdings ist das soziale Gefälle – die Kluft zwischen Stadt und Land, Arm und Reich – sehr viel grösser geworden. Über 40% der 3,2 Millionen Mongolinnen und Mongolen leben heute in absoluter Armut. Unterernährung ist weit verbreitet. Die Teuerungsrate ist mit rund 10% hoch, und ungleich zur sowjetischen Zeit ist das soziale Netz heute extrem weitmaschig geworden.
MILCHSCHNAPS UND KÄSE
Die nomadische Viehwirtschaft, einst Kern von Wirtschaft und Kultur, hat inzwichen an Bedeutung eingebüsst. Zwar arbeitet noch immer ein Drittel der Bevölkerung in den Grassteppen und produziert mit Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden Fleisch, Schaf- und Kaschmir-Wolle sowie Milch, vergorene Stutenmilch, Milchschnaps und Käse. Doch der Anteil an der nationalen Wertschöpfung ist seit 1990 von 45% auf rund 15% gesunken. Wie andere Bereiche der Volkswirtschaft ist auch die Viehwirtschaft privatisiert worden. Die Folge ist oft Überweidung und mithin eine ernsthafte Bedrohung für die nomadische Lebensgrundlage.
Geradezu raketenhaft entwickelte sich der Bergbau. Alimentiert von Auslandinvestitionen wurde die Ausbeutung der Rohstoffe vorangetrieben. Es war sehr viel Geld im Spiel. Kein Wunder deshalb, dass Umweltschutzauflagen und Genehmigungen oft missachtet wurden, nicht zuletzt mit aktiver Mithilfe von korrupten Regierungsbeamten. Wenig hilfreich agierte verschiedentlich das Parlament, die Grosse Volksversammlung. Investitionsgesetze wurden abgeändert, was das Vertrauen der Investoren schmälerte. Solange die Rohstoffpreise hoch waren, nahm alles seinen Lauf. Als dann aber 2012-2015 auf den globalisierten Rohstoffmärkten die Preise einbrachen, verdüsterte sich der mongolische Wirtschaftshorizont. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland gingen stark zurück, von 2012-2014 um 80%.
„AUSBEUTUNG DURCH DAS AUSLAND“
Jetzt wo das Wachstum immer mehr abflacht, wird in Ulan Baataar und darüber hinaus der Ruf unter Mongolen immer lauter, sich im Bergbau von der „Ausbeutung durch das Ausland“ zu befreien. Das in diesem Zusammenhang am meisten zitierte Beispiel ist die potentiell grösste Kupfer- und Goldmine der Welt in Oyu Tolgoi, in der südlichen Gobi-Wüste an der Grenze zu China. Bereits wurden zehn Milliarden Dollar investiert. Das 2009 gegründete Gemeinschaftsunternehmen gehört zu 34% dem mongolischen Staat und zu 66% dem internationalen Rohstoffriesen Rio Tinto (Hauptquariter Niederlande) und Ivanhoe. Es sind aber nicht nur die Besitzverhältnisse, die von Mongolen in Frage gestellt werden. Immer mehr erheben sich in der Zivilgesellschaft auch Stimmen, die lautstark ökologische Bedenken anmelden. In vielen Bergwerken zum Beispiel werden die mineralen Ressourcen im Tagabbau gefördert. Das hinterlässt riesige, unwirkliche Kraterlandschaften. Umweltauflagen werden auch anderswo – Kohlebergbau, Kraftwerke – nur sehr locker und nachlässig beachtet.
Staatspräsident Tsakhiagiin Elbegdorj jedenfalls ist nach den euphorischen Boomjahren bemüht, eine Phase der Konsolidierung der Wirtschaft einzuleiten. Er rief das Volk und vor allem die Politiker dazu auf, „den Gürtel enger zu schnallen“. Sanierung der Staatsfinanzen – hohe Verschuldung und schmelzende Devisenreserven – und Wiedergewinnung des Vertrauens der Auslandinvestoren stehen ganz oben auf der Agenda. Die makroökonomischen Ungleichgewichte müssten rechtzeitiig für die allgemeinen Wahlen 2016 ins Lot gebracht werden. Nich nur die Parlamentarier nämlich werden neu gewählt, sondern auch der Präsident.
MÄCHTIGE NACHBARN
Der mongolischen Demokratie ist in den letzten 25 Jahren politisch und wirtschaftlich viel gelungen. Eines der angestrebten Ziele jedoch ist in weite Ferne gerückt. Nach der Befreiung 1990 von der sowjetischen Abhängigkeit suchte die Mongolei Rückendeckung für ihre Unabhängigkeit bei demokratischen Staaten. Die USA, Europa und Japan boten noch so gerne Hand. Allerdings hat sich in der Folge gezeigt, dass die Abhängigkeit vom grossen Nachbarn China wirtschaftlich und somit indirekt auch ein wenig politisch immer grösser wurde. Heute gehen rund 90% der Exporte nach China, und China ist der mit Abstand grösste Investor in der Mongolei.
Der enge Kontakt zu China kommt historisch nicht von ungefähr. Kublai Khan, der Enkel des grossen Dschingis Khan, gründete im 13. Jahrhundert die chinesische Yuan-Dynastie. Die Mongolei blieb auch nach dem Fall der Yuan am Ende des 14. Jahrhunderts immer in engem Kontakt zu China. In der chinesischen „Autonomen Region Innere Mongolei“ leben zudem mit 22 Millionen Mongolen mehr als sieben Mal soviel Mongolen wie in der Äusseren Mongolei, der unabhängigen Republik. Freundschaft und zuvorderst gemeinsame Interessen sind für die Regierenden in Ulan Baataar deshalb überlebenswichtig. Neben dem makroökonomischen und ökologischen Gleichgewicht sucht die Mongolei derzeit auch eine diffizile politische Balance. Mit den traditionellen mächtigen Nachbarn China und Russland, aber als Korrektiv auch mit Japan, Europa und Amerika.
MEHR SEHEN, ANDERS ERLEBEN – MONGOLEI
Nächste Reise mit Peter Achten: Juli 2015.
Fotoalbum der 2011-Reise.