Erlebnisberichte

REKO: Bhutan, Land des Donnerdrachens Teil 2

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04. Januar 2013 von Julia Karich

AUF DER SUCHE NACH DEM GLÜCK

Immer tiefer ins Landesinnere gen Osten führt uns der wilde Ritt durch das Land des Donnerdrachens. Als wir die Hauptstadt Timphu verlassen, schwärmt mein Guide gerade in den höchsten Tönen von der ersten und einzigen Autobahn in ganz Bhutan, auf der wir uns nun gerade befinden. Was für ein gleitendes Fahrgefühl! Und während ich noch meine Kamera suche, um ein Foto von diesem historischen „Bauwerk“ zu machen, ist sie auch schon wieder vorbei.

Ganze 6 Kilometer! zählt die komfortable Teerstrasse – der ganze Stolz des Landes. Kurz darauf geht das bekannte Holpern und Ruckeln in die nächste Runde. Trans-Bhutan-Highway heisst nun die einzige Verbindung ins Landeszentrum und in den Osten. Während ich noch über meine sehr eingeschränkte westliche Definition eines „Highways“ nachdenke, erblicke ich die überdimensionale Buddha Statue, die im goldenen Schimmer von den Höhen über Thimphu auf uns herabblickt. Natürlich, so erzählt mir mein Guide, sei es die grösste Buddha Statue der Welt. Mit beachtlichen 52 Metern (sitzend) könnte das durchaus stimmen, aber aus persönlicher Erfahrung weiss ich, dass noch mehr Länder und Völker unter asiatischer Sonne diesen Titel für sich beanspruchen. Sei’s drum, hoffentlich begleitet uns Buddhas Segen auch auf unserer nächsten Etappe. Immer höher klettert die schmale Strasse in unzähligen Windungen, Kurven und Serpentinen. Der Laubwald ist längst von Kiefernwald abgelöst worden, als wir den Dochula-Pass auf 3140 m Höhe erreichen. Zwischen einem bunten Wald aus flatternden Gebetsfahnen verbergen sich unzählige Stupas. In Bhutan werden diese Stupas Chorten genannt und in Erinnerung an die Verstorbenen erbaut. 108 Chorten mit goldenen Dächern krönen den nebelverhangenen Pass. Von den versprochenen Bergen lässt sich an diesem Tag keiner blicken – der Nebel ist so dick, dass man Schneebälle aus ihm formen könnte. Nach der obligatorischen Runde im Uhrzeigersinn um den höchsten Punkt und in Begleitung mehrerer silbergrauer Affen und zotteliger Yaks setzen wir unsere Fahrt fort.

Als wir endlich das Tal von Punakha erreichen, haben wir 1700 Höhenmeter hinter uns gelassen und ich stehe fassungslos und staunend mit offenem Mund vor dem Dzong von Punakha. Das Tal öffnet sich und am Zusammenfluss von Mo Chu, dem „Mutterfluss“ und Pho Chu, dem „Vaterfluss“ erhebt sich der majestätische Dzong, der als der schönste des Landes gilt. Das weibliche und das männliche Element zeugen hier den Fluss Punakha. Im Falle einer Überschwemmung ist selbstverständlich der viel zu stürmische männliche Fluss dafür verantwortlich, erzählt mir mein Guide mit ernstem und besorgtem Gesicht. „Selbstverständlich“, sage ich nickend und versuche, ebenso ernst zu schauen. Emanzipation mal anders. Für den Moment ist jedenfalls alles ruhig und sowohl der männliche als auch der weibliche Fluss umspülen in spürbarer Harmonie das majestätische Bauwerk. Auch das Fest des Jahrhunderts – die Märchenhochzeit des 5. König Jigme Wangchuck mit seiner bürgerlichen Jugendliebe Jetsun Pema fand im Oktober 2011 in diesen heiligen Hallen statt. Von der umjubelten Königs-Hochzeit gibt es eine schöne Zusammenfassung bei YouTube, in der auch der Dzong in seiner ganzen Pracht zu sehen ist: www.youtube.com/watch?v=PN5mNMUNVcQ.

 

Mit ein wenig Wehmut verabschiede ich mich am nächsten Tag vom sanft dahinplätschernden (weiblichen) Fluss, den umhereilenden feuerroten Mönchskutten und dem lieblichen Punakha Tal.  Denn nun gilt es, den nächsten sich quer in den Weg stellenden Gebirgszug wieder hinaufzuklettern. Es sind die Black Mountains, die sich als Hauptbarriere zwischen West- und Zentralbhutan erheben. Jedes kleine Seitental, jeder Geländeeinschnitt, jeder Felsvorsprung muss um kurvt werden, da es keine einzige Brücke gibt, die die Strecke verkürzen würde. Mein Guide dreht sich mit einem entschuldigendem Lächeln zu mir um und preist den kommenden Abschnitt als „Rock-’n‘-Roll-Strasse“ an. Wie treffend! Die Betonung liegt hierbei auf Rock denn rollen tun wir die nächsten Stunden eher selten. Immer wieder versperren Bagger die ohnehin schon enge Schotterpiste. Mittelalterliche Drachen, die das gerade abgesprengte Gestein beiseiteschieben. In dem Fall heisst das, die riesigen Felsbrocken über die Kante in den Abgrund zu schubsen. Wir haben Zeit und Tee. Und wieder ist ein Stück Weg frei und wir nähern uns Kurve um Kurve dem Tagesziel Trongsa. Als sich der Wald langsam lichtet und das nächste Tal seine Schätze preisgibt, bietet sich schon von weitem ein überwältigender Blick auf den Dzong von Trongsa, der als der grösste des Landes gilt. Das Ensemble umfasst mehrere Gebäude, die mit Galerien, Korridoren, Treppen und Höfen verbunden sind und nicht weniger als 25 kleinere und grössere Tempel umfassen. Im grossen Innenhof finden gerade die Proben für den Nationalfeiertag am 17. Dezember statt. Dutzende Männer im traditionellen Gewand, dem Gho, drehen sich unermüdlich zu rhythmischen Trommelschlägen im Kreis. Das nationale Gewand erinnert an einen Bademantel oder Kimono, der bis kurz über das Knie reicht. Entgeistert starre ich immer wieder auf die nackten Füsse der tanzenden Männer und die Flip Flop tragenden Mönche, die in ihren luftigen Kutten durch die Höfe flitzen. Selbst in meinen gefütterten Trekkingschuhen bekomme ich bei empfindlichen 5 Grad Aussentemperatur schon vom Zusehen kalte Füsse.

Auf unserem Rückweg in die Stadt Paro beobachten wir immer wieder Männer, die mit Leidenschaft und Ehrgeiz dem Nationalsport des Landes frönen– dem Bogenschiessen. Scheinbar verloren stehen sie hochkonzentriert und mutterseelenallein auf einer Wiese und versuchen, mit ihren mächtigen Bögen die 120 bis 140 m entfernte und nur 30 cm breite Zielscheibe zu treffen. Der Sport ist ausschliesslich Männern vorbehalten und diente früher noch dem Vertreiben von Geistern und Dämonen. Heute ist das Bogenschiessen ein fester Bestandteil aller Volkfeste und trägt zu grossen Teilen zum „Bruttonationalglück“ des Landes bei. Auch das bhutanische Nationaltier – der Takin – trägt deutlich zur guten Laune im Lande bei denn ein Schmunzeln kann man sich beim Anblick dieses ungewöhnlichen Tieres nicht verkneifen. Als das gutmütig dreinschauende Wesen vor mir steht, denke ich spontan an eine Kreuzung aus Ziege, Schaf, Elch, Rind und Gnu. Selbst die Zoologen haben grösste Schwierigkeiten, dieses Tier einer Gruppe zuzuordnen. Bis vor kurzem war man sich darüber einig, dass es zu den Ziegenartigen gehört. Daher auch die Namen Gnuziege oder Rindergemse. Neueste DNA-Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass der Takin eher zu den Schafen gehören müsste. Den Bhutanern ist’s egal, sie lieben ihr Nationaltier mit der viel zu breiten Schnauze und den zu kurz geratenen Hörnern. Und auch wenn der Takin sich keiner tierischen Gattung zuordnen lässt, so gehört er doch hundertprozentig nach Bhutan.

  

Das beschauliche Städtchen Paro liegt auf 2400 m Höhe und besteht im Grunde nur aus wenigen liebevoll verzierten Holzhäuser, die um eine riesige Gebetsmühle angeordnet sind. Von meinem Hotel aus sehe ich in der Ferne das berühmte „Tigernest“ in schwindelerregender Höhe am Felsen kleben. 800 Höhenmeter liegen zwischen mir und dem Kloster, die wir beim morgigen Anstieg in Angriff nehmen wollen. Der Nationalheilige des Landes, Guru Rinpoche, hatte es da deutlich leichter. Der Legende nach flog er im 8. Jahrhundert, auf einer Tigerin sitzend, aus Tibet herbei und landete auf einem Felsabsatz vor einer Höhle, wo er sich drei Monate der Meditation hingab. Dananach stieg er herab und brachte den Menschen im Paro-Tal die Lehre des tantrischen Buddhismus. Aus dieser Geschichte rührt der Name „Tigernest“. Da die fliegende Tigerin am nächsten Morgen beim Treffpunkt nicht zur Verfügung steht, entscheide ich mich spontan für ein kleines gutmütiges Muli, das mich die ersten Stunden tapfer den Berg hinaufschaukelt. Die Luft wird mit jedem Höhenmeter dünner und der Weg entlang der Bergkante beschwerlicher. Plötzlich öffnet sich der dichte Wald und gibt ein erstes Mal den Blick auf das „Tigernest“ frei. Ein unglaublicher, geradezu unwirklicher Moment. Dann heisst es absteigen denn die letzte Stunde muss zu Fuss bewältigt werden. Mit einem freundlichen Klaps verabschiede ich mein Muli, welches sich auf der Stelle umdreht und im flotten Trab den Rückweg antritt. Zwischen mir und dem Kloster liegt eine klaffende Schlucht und unzählige in den Fels geschlagene Treppen. Tief unter uns liegt das Paro-Tal und über uns die goldenen Dächer des Klosters. Der Ausblick entschädigt für alle Strapazen, selbst für eine Stunde Treppen steigen auf 3000 Metern Höhe! Während man als Nicht-Buddhist bis vor einigen Jahren das Kloster lediglich von der gegenüberliegenden Seite betrachten durfte, ist der Zutritt heutzutage gestattet. Rucksäcke und Kameras müssen allerdings abgegeben werden. Auf dem Weg zurück ins Tal schauen wir immer wieder zurück – als wolle man sich vergewissern, dass die letzten Stunden auch wirklich passiert sind. Alle sind in Gedanken versunken und nur hin und wieder stürmt ein erleichtertes Muli an uns vorbei und hüllt uns in eine Staubwolke. Am Abend sehe ich ein einzelnes kleines Licht hoch oben am Felsen flackern und für einen kurzen Moment suche ich am Himmel nach der fliegenden Tigerin, die mit Guru Rinpoche auf dem Rücken nach Hause fliegt …

Weitere Bilder aus dem Land des Donnerdrachens gibt es auf Facebook unter https://www.facebook.com/#!/cotravel.ch?fref=ts