16. Mai 2013 von Kurt Schaad
HEIMAT IST DORT, WO MAN SICH NICHT ERKLÄREN MUSS
Traumdestinationen sind ein beliebtes Gesprächsthema. Neulich war ich wieder mal in ein solches Gespräch verwickelt. „Was, dort willst du hin? Willst du dein Auto suchen oder soll dir Dracula etwas Blut abzapfen? Willst du tatsächlich nach Rumänien?!“ Mein Gegenüber schaute mich an, als ob ich Nicolai Ceausescu persönlich in der Hölle besuchen wollte um dabei auch noch in die Fänge eines blutsaugenden Vampirs zu geraten.
„Warst Du denn schon mal in Rumänien?“
„Nein, natürlich nicht!“
Na also. Die Vorgeschichte zu diesem Gespräch sind Bemerkungen von drei Bekannten, die, völlig unabhängig voneinander, in Rumänien waren und mich mit begeisternden Kommentaren eingedeckt hatten. „Ein Geheimtipp!“ „Das Donaudelta – ein Traum!“„Die Karpaten – einmalig!“ Da ich nichts davon halte, Meinungen anderer zu übernehmen, kam ich spätestens nach der dritten positiven Äusserung zum Schluss, mich in Rumänien selbst kundig zu machen.
Taxifahrer und Jungunternehmer
Der erste Kontakt in einem fremden Land ist meistens ein Taxifahrer am Flughafen. Das ist bei mir auch in Rumänien so. „Unter Ceausescu war alles besser!“, sagt mein Taxifahrer mit grimmiger Miene. Energisch schiebt er seine Sonnenbrille vom grauen Kurzhaarschnitt auf die Nasenwurzel, als wollte er die dunkle Zukunft seines Landes sichtbar machen. Ich entgegne, dass das Taxi doch sein Eigentum sei und ich den Eindruck hätte, hier in Bukarest Zeichen eines gewissen Wohlstands zu erkennen und zudem könne er seine Meinung frei äussern, ohne dass irgend ein Geheimdienst gleich hinter ihm her sei. Hier in der Hauptstadt ginge es noch, aber auf dem Land herrsche grosse Armut. „Ich bin 65, habe vieles erlebt und unter Ceausescu war es besser“, wiederholt er trotzig, während wir an einem Prunkbau des früheren Diktators vorbeifahren an dem ein grosses Werbeplakat hängt. Kurze Zeit später treffe ich Catalin. Der 25-jährige Rumäne wird mich in den kommenden Tagen durch sein Land begleiten. Er ist so etwas wie der Gegenentwurf zu meinem Taxifahrer. Catalin hat soeben sein Studium als Bauingenieur abgeschlossen. Als Student hatte er Reisegruppen durch Rumänien begleitet, was jetzt dazu führte, dass er sein eigenes kleines Reiseunternehmen gegründet hat. In Rumänien müsse man flexibel sein und seine Chancen nutzen, meint er mit einem verschmitzt ernsthaften Lächeln. Das Leben sei nicht einfach aber er sehe seine Zukunft als Jung-Unternehmer durchaus positiv.
Transsilvanien
Wir fahren Richtung Norden, Richtung Transsilvanien. Allerdings nicht auf der Suche nach Dracula. Der mit den spitzen Eckzähnen ist eine Erfindung eines irischen Schriftstellers, der selber nie in Rumänien war. Aber die ausgedehnten Wälder der Karpaten, wo sich Wolf und Bär gute Nacht sagen, haben eine mystische Ausstrahlung, in die ein blutsaugender Vampir gut passen würde. Und zur Vermehrung touristischer Einnahmequellen gibt es sogar ein Dracula Schloss. Möglicherweise haben die Rumänen das Prinzip bei Wilhelm Tell abgeschaut.
Ein richtiges Schloss, das eines echten Königs, findet man in Sinaia, am Rand der Karpaten. Der König lebt schon lange nicht mehr und Rumänien hat der Monarchie abgeschworen, aber das Schloss des Königs wurde sorgfältig restauriert. Schloss Peles war die Sommerresidenz von König Carol I. – eine wunderbar-königliche Stilmischung von Italiens Renaissance mit Barock und Historismus-Fachwerk und jeder Menge Türmchen aus Deutschland. Ein ausführlicher Besuch bei Königs lohnt sich allemal. Interessant zu sehen, wie der Adel seine Sommerferien verbracht hat. So oder ähnlich müssen auch die Windsors eingerichtet sein, denn sie haben verwandtschaftliche Beziehungen in diese Gegend. Doch dazu noch später.
Catalin führt mich also durch Transsilvanien. Ein klangvoller Name für dieses mitten in Rumänien gelegene und von den Karpaten umschlossene, landschaftlich grossartige Reise-Kleinod. Transsilvanien ist auch Siebenbürgen. Der Name geht auf die sieben Burgen zurück, welche die ins Land geholten Deutschen, die Siebenbürger Sachsen, auf Geheiss des ungarischen Königs zur Grenzsicherung gegründet hatten. Burgen gibt es in Siebenbürgen in verschwenderischer Fülle. Was heute eine touristische Attraktion darstellt, ist auch Sinnbild dafür, dass auf rumänischem Boden Bedrohung und Zerstörung über lange Zeit zum Alltag gehörten. Tartaren, Türken, Österreicher, Ungarn, Deutsche, Russen – viele Völker haben auf diesem Terrain um die Vorherrschaft gekämpft. Die östliche gegen die westlich Welt hat Rumänien geprägt – und prägt es heute noch.
Das Erbe der siebenbürger Sachsen
Herr Henning ist einer dieser Sachsen, dessen Vorfahren einst aus Deutschland eingewandert sind. „Ich bin ein rumänischer Staatsbürger deutscher Nation“ antwortet er auf die Frage, als was er sich denn nun hier in Rumänien fühle. Um dann auch noch gleich anzufügen, dass diese Sachsen so wenig Deutsche seien wie auch die Schweizer es nicht sind. Herr Henning wohnt in Michelsberg. Er ist dort der Pöstler, baut Kachelöfen und bewirtet Touristen mit typisch rumänischen Speisen. Man müsse hier verschiedene Standbeine haben, meint er mit einem verschmitzten Lächeln. Er ist einer der wenigen Sachsen, die geblieben sind. Viele hatten nach der Aera Ceausescu die Chance genutzt, in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen. Und dann sagt Herr Henning diesen Satz, der alles erklärt und den ich Zeit meines Lebens nicht vergessen werde:
„Heimat ist dort, wo man sich nicht erklären muss.“
Er habe es nie bereut, hier geblieben zu sein. Im Gegenteil. Dieses Land biete inzwischen Chancen, wie er es nie für möglich gehalten hätte. „Und ihr aus dem Westen kommt hierher mit zugenähten Säcken. Ich sehe es euch an. Ihr habt Angst, ständig beklaut zu werden. Dabei sind diejenigen, die klauen schon lange bei euch im Westen“ prustet er los. Sein schallendes Gelächter schafft eine entspannte Atmosphäre und verdrängt das schlechte Gewissen. Herr Henning könnte ja nicht ganz unrecht haben.
Das mit dem Klauen ist einen Tag später wieder ein Thema. In einem Dorf namens Viscri oder Deutsch-Weisskirch. Ein schmuckes Bauerndorf in lieblicher Hügellandschaft mit weidenden Schaf- und Kuhherden in der Umgebung. Mit den Pferdefuhrwerken, die einen über Naturstrassen zu einem Köhler und einem Ziegelbrenner fahren, fühlt man sich in der Zeit zurück versetzt – und das ist durchaus gewollt so. Eine Stiftung hat ermöglicht, dass die Häuser sanft renoviert werden konnten. Das geschlossene Ortsbild ist in seiner Art nur noch selten in Siebenbürgen anzutreffen. Keine falsche Modernität, aber die Häuser haben Strom und fliessend warmes und kaltes Wasser. Auch gibt es eine biologische Kläranlage. Einer der wichtigen Unterstützer der Stiftung ist Prinz Charles, dem im Dorf ein hellhimmelblaues Haus gehört, in dem er von Zeit zu Zeit auch übernachtet.
Auch hier sind in diesem sächsischen Bauerndorf die meisten Sachsen nach Deutschland ausgewandert. Die heute rund 450 Dorfbewohner sind hauptsächlich Rumänen und Roma, die sich bemühen, das Bild und den Charakter des Dorfes aufrechtzuerhalten. Das gelingt vor allem auch dank Caroline Fernolend. Die Deutsch sprechende Rumänin hat sich mächtig ins Zeug gelegt, um „ihr“ Dorf in seiner Ursprünglichkeit zu bewahren. Der Effort hat sich gelohnt. Deutsch-Weisskirch wurde ins UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen. Das bringt auch Touristen und einen willkommenen Nebenverdienst für die wirtschaftlich nicht verwöhnte Dorfbevölkerung. Sie hätten manchmal fast etwas viele Autos auf den staubigen Strassen, sagt Caroline und ich sage, dann macht doch einen Parkplatz am Dorfeingang und sie sagt, dann hätten die Leute Angst, ihr Auto würde geklaut, weil der Parkwächter dunkle Haut hat, ein Roma sei. Dabei ist in Deutsch-Weisskirch alles ein bisschen anders mit den Roma, als in vielen andern Dörfern Rumäniens. „Ein Roma sagt: ich werde entweder Melker oder Minister und weil ich sicher nicht Minister werde, muss ich auch nicht in die Schule gehen“, sagt Caroline und ergänzt mit sichtlichem Stolz, dass in ihrem Dorf die Roma mit dem Tourismus Geld verdienen und 15 Romakinder aufs Gymnasium gehen. Dann entschuldigt sie sich, weil die Kühe ins Dorf getrieben werden und es Zeit zum Melken sei und wir staunen über ein Schauspiel, das sich jeden Abend so wiederholt: Jede einzelne Kuh geht selbständig und ohne menschliche Hilfe „nach Hause“ in ihren Stall.
Fortsetzung folgt …